Die Angst wird von uns als etwas sehr Negatives angesehen. Angst ist „out“. Wir sollen mutig sein, Risiken eingehen, die Welt bereisen (am besten alleine und ohne Geld); aus Flugzeugen springen, durch Wildwasser raften. Felix Baumgartner springt Fallschirm im All und wird als Held gefeiert.
Ich sitze dann immer mit offener Kinnlade und frage mich, wie die das alle machen. Wie kann man nur so mutig sein!? Ich habe schon Schiss, ohne Helm Fahrrad zu fahren. 😀
Ich fand die Erkenntnis extrem beruhigend, dass auch diese mutigen Menschen nicht ohne Angst leben – da bin ich mir ganz sicher! Die haben auch die Hosen voll!
Es geht beim Mut nicht darum, keine Angst zu haben. Es geht darum, sie zu verstehen, sie zu nehmen, wie sie ist, um sie dann zu überwinden. Das Überwinden können wir lernen.
Einige beruhigende Gedanken, wie auch die „Schisshasen“ unter uns Ängste überwinden, sie abbauen, sie nicht gänzlich verteufeln, möchte ich Euch heute mit Euch teilen.
Selbst gebauter Knast
Die Angst in uns wurde zunächst einmal eingerichtet, um unser Überleben zu sichern. Sie ist etwas Gutes und ist überlebensnotwendig. Würde unser Körper nicht ängstlich oder gar panisch reagieren, während wir mit 120kmh auf einen Baum zu rasen, wäre das für uns nicht von Vorteil. Angst ist gut, wir brauchen sie. Sie ruft körperliche Reaktionen hervor, die uns das Leben rettet. Höchste Konzentration, Reaktionsbereitschaft, der Körper wird in rasender Geschwindigkeit auf volle Power hochgefahren; bereit sich selbst den Allerwertesten zu retten. Es ist eine hervorragende Erfindung, für die wir dankbar sein können.
Ängste werden dann zur Belastung, wenn sie über uns bestimmen, wenn nicht mehr wir die Entscheidungen treffen, sondern unsere Zweifel und Sorgen. Je häufiger das geschieht, desto mehr nehmen wir uns selbst gefangen! Wir bauen uns einen eigenen Knast! Wir geben uns selbst lebenslänglich – wenn wir nichts dagegen unternehmen.
Wie lange ist Angst „normal“?
Wann dient uns Angst? Wann wird sie krankhaft und sollte bekämpft werden?
Es gibt eine Frage, die Euch das ganz leicht vor Augen führt:
Schränkt die Angst mich in meiner Lebensqualität ein?
Wenn ich aus Furcht vor Bakterien, Sagrotan-Tücher mit in den Urlaub nehme, um im Hotel die Klodeckel abzuwischen, ist das weniger dramatisch. Das mag mancher als übervorsichtig bezeichnen, aber es schränkt niemanden ernsthaft ein.
Traue ich mich aber nicht mehr in die U-Bahn zu steigen, weil ich befürchte, mich dort mit Bakterien und Viren zu verseuchen, ist das eine Einschränkung der Lebensqualität und ist dringend behandlungsbedürftig.
Es ist wichtig, die Frage nach der Lebensqualität 100% ehrlich zu beantworten. Wie schnell hat man sich etwas schöngeredet. Wir Menschen sind Meister darin. „Ach, ich will gar nicht fliegen, habe ja gar kein Fernweh oder so. Ich muss nicht die Welt sehen. Ich mag Kreuzfahrten sowieso viel lieber!“
Einsicht ist – wie so oft – der erste Weg zur Besserung!
Einsehen, dass man sich selbst limitiert. Erkennen, dass man es nicht hinnehmen muss!
Informationen darüber einholen, was man tun kann. Handeln!
Meine erste Panikattacke
Ich musste bereits in jugendlichen Jahren feststellen, dass mein Gehirn ziemlich schnell auf Gefahr schaltet. Dass es vieles Ungefährliches als gefährlich wahrnimmt und hinterher auch so abspeichert.
Meinen ersten Angstzustand hatte ich mit 15 Jahren.
Aus dem ersten heftigen Kater meines Lebens, entwickelte sich meine erste (eingebildete) Nahtoderfahrung. Heute kann ich herzhaft darüber lachen, in der Situation war es nicht so richtig witzig. Ich weiß auch gar nicht mehr, was Kater war und was durch Panikattacken hinzukam.
Es fing damit an, dass mir zum ersten Mal in meinem Leben so richtig schwindelig war. Böser Alkohol ;). Ich war zittrig und mein Kreislauf nicht ganz auf der Höhe. Es war Hochsommer. In meinem Kinderzimmer auf dem Dachboden war es bullenheiß.
Ich war in einem körperlichen Zustand, den ich nicht kannte. Es fühlte sich komisch an, so anders. Es ging mir nicht gut und sofort bekam ich Angst, ich könnte sterben, einfach so, einfach Umkippen, aus die Maus. Ich bekam Panik, unglaubliches Herzrasen. Mein Herz so schnell und laut schlagen zu hören, brachte noch mehr Panik, mein Gesicht glühte vor Aufregung, ich schwitze und zitterte am ganzen Körper. Ich dachte, ich würde innerlich zerspringen.
Aus „Sicherheitsgründen“ bewegte mich an dem Tag so gut wie gar nicht, versuchte mich mit Fernsehen abzulenken – aber auf Toilette musste ich ja. Zur Toilette ging es eine Treppe runter. Ich hatte solche Angst, dass mein Körper die Stufen nicht schaffen würde, ich in Ohnmacht und die Treppe runterfallen würde. Ich krallte mich am Geländer fest und kroch panisch die Treppe runter – die totale Hilflosigkeit.
Ich glaube, meine Mutter versuchte mich an dem Tag immer wieder zu beruhigen, machte mir kalte Wickel, brachte mir Essen und ganz viel zu Trinken, redete mir gut zu. Ich sage es ganz ehrlich, genau weiß ich das heute nicht mehr. Ich war so im Angsttunnel. Ich nahm die Hilfe von außen nicht wirklich wahr. Ich war damit beschäftigt, hoffentlich nicht zu sterben.
Die erste Panikattacke vergisst man wohl nie. Hattet Ihr schon mal eine ähnliche Erfahrung? Das Gefühl vor Angst die Kontrolle zu verlieren, verrückt zu werden?
Ich kann Euch beruhigen: Egal, wie panisch wir sind, wir bleiben immer bei uns. Wir werden nicht verrückt, wir kippen nicht um oder sterben vor Angst! Das ist anatomisch in so einer Paniksituation gar nicht möglich denn, wie ich oben erwähnte, biologisch gesehen macht Angst bzw. die resultierende Panik uns ja komplett wach, fit, kampf- oder fluchtbereit.
Eine Panikattacke ist sehr unangenehm – aber sie ist nicht gefährlich! Der Körper regelt das, wir können uns auf ihn verlassen. So sehr er auch „aufdreht“, er macht das nicht dauerhaft. Er regelt uns auch wieder runter. So war es auch an dem „Kater des Grauens-Tag“. Ich bin nicht gestorben. Der Körper hatte panische Phasen und dann wieder ruhigere Phasen.
Damals wusste ich noch gar nichts über Ängste und was mit mir geschah. Hätte ich gewusst, was ich heute weiß, wäre es nie so weit gekommen.
Dieses Wissen und natürlich auch mein gesamter „Kampf gegen die Angst“ passt nicht in einen Blog-Beitrag, aber ich verspreche Euch noch in ganz vieles einzuweihen. Jetzt fasse ich das, was nach dem Horrortag folgte, erstmal so kurz wie möglich zusammen. 😉
Diagnose: Angstgestört
Nach meiner ersten Panikattacke hatte sich mein Gehirn gemerkt, Schwindel ist hochgefährlich! Die Vorstellung in Ohnmacht zu fallen, ist sehr angsteinflößend!
Mir wurde plötzlich immer häufiger schwindelig. Nach einigen Monaten gab es kaum noch Situationen, in denen ich keine Angst vor dem Umkippen hatte. In der Schule, im Einkaufszentrum, auf Partys, ach, bald hatte ich überall Angst – nur zu Hause ging es noch.
Ich hatte mich selbst „eingeknastet“. Ich weigerte mich in die Schule zu gehen, weil mir da immer schwindelig wurde und ich es nicht aushalten konnte.
Meine Mutter und ich hatten keine Ahnung, was los war. Wenn man sich mit Angsterkrankungen noch nie befassen musste, woher soll man wissen, was los ist!? Wir rannten von Arzt zu Arzt, alles wurde gecheckt, Gehirn, Gleichgewicht, Blutdruck, usw. Körperlich war alles bestens bei mir.
Nach vielen Monaten bekamen wir dann die eigentliche Diagnose genannt:
Ich hatte eine Angststörung!
Der Schwindel kam durch die Angst. Die Symptome zu spüren, die einen fürchten, ist bei so einer Störung normal. Andere kriegen Herzstechen, weil sie krankhaft Angst vor einem Herzinfarkt haben. Oder Magenschmerzen aus Angst vor einem Geschwür. Das Reinsteigern in den Schwindel bringt den Schwindel, bzw. verstärkt ihn sogar. Nur Umkippen, das passiert nicht! Genauso wenig, wie man sich einen Herzinfarkt „herbeifürchten“ kann.
Erkenntnisse aus der Psychiatrie
Nach der Diagnose und einer gescheiterten ambulanten Psychotherapie (nicht alle Therapeuten sind kompetent, nicht alle passen zu jedem – es lohnt sich etwas zu suchen!) kam ich mit 16 Jahren für drei Monate in die Kinder- und Jugendpsychiatrie in Marburg a. d. Lahn.
Was mir zunächst mehr Angst machte als alles, was da vorher war, entpuppte sich als eine der wertvollsten und lehrreichsten Zeiten in meinem Leben. Ich verließ die Klinik gestärkt und sehr viel erwachsener als zuvor. Es war ganz sicher nicht alles schön, was ich erlebt habe, aber es hat mich stark gemacht…. und gesund! Ich hatte keine krankhafte Angst mehr vor dem Umkippen. Im Laufe der Zeit schlichen sich neue Ängste ein, die ich dann wieder neu bekämpft habe. Auch darüber erzähle ich an anderer Stelle. Die Neigung, dass das Gehirn schnell übertriebene Ängste entwickelt, ist wohl mein Schicksal, aber ich habe mit jeder Therapie Neues gelernt und bin immer mutiger geworden. Nur niemals aufgeben, sich niemals ergeben! Das ist die Hauptsache!
Abschließend möchte ich noch die sechs wichtigsten Erkenntnisse aus der Psychiatrie-Phase auflisten. Hoffentlich sind unter meinen Erkenntnissen für Euch ein paar gute Tipps dabei!
1) Die Angst kann Dir nichts anhaben – das, was Du befürchtest, wird nicht eintreffen! Ich kann es nicht oft genug betonen: Angst ist unangenehm, aber nicht gefährlich! So ekelhaft sich eine Panikattacke auch anfühlen mag, Du wirst sie überstehen, sie wird aufhören. Dein Körper regelt das! Vertraue ihm!
2) Wir können uns ruhig mit unserer Angst anfreunden. Sie will uns beschützen, sie will uns nichts Böses, sie kann uns auch nichts Böses.
3) Rede darüber. Wir alle kennen Angst! Wenn man offen seine Themen anspricht, findet man erst heraus, wie viele Leute mit ähnlichen Problemen kämpfen. Ich habe in den drei Monaten meines Klinik-Aufenthalts täglich darüber gesprochen. Mit Pflegern, Mitpatienten, Betreuern, Therapeuten. Und ich sage es nochmal: JEDER KENNT ANGST! Die meisten reden allerdings nicht gerne darüber. Lassen wir Ihnen Ihren Selbstschutz, völlig ok, meiner Meinung nach ist das nur für niemanden hilfreich. Schweigen ist nicht immer Gold.
4) Wenn Du Deine Ängste offen kommunizierst, werden sie außerdem gleich schwächer. Man muss nicht verbergen, wenn man gerade Angst oder gar Panik hat. Wenn Du Dein Umfeld, z.B. Deinen Nachbarn im Flugzeug einweihst, dass Du Dich vor dem Fliegen fürchtest, musst Du nicht mehr so tun als wäre alles ok mit Dir. Du musst Dir auch keine Gedanken mehr darübermachen, ob Dir jemand etwas ansieht, Du Dich peinlich verhältst, o.ä. Die Leute um Dich werden es wissen und es wird ok sein.
5) Dein Körper und Deine Seele halten viel mehr aus, als Du glaubst. Je weniger Du Dich forderst, desto weniger wirst Du Dir zutrauen. Also üben, üben, üben! Raus mit Dir in die Welt. Das befreit und macht glücklich! Ich wurde damals in der Klinik gezwungen Sport zu machen, Inline zu skaten, obwohl ich selbst davor Angst hatte. Ich kann bis heute nicht bremsen ;D Erst kürzlich habe ich mir eine „Fear-List“ angelegt. Da steht alles drauf, dass mir Angst macht. Ich möchte mich Schritt für Schritt alldem stellen. Das ist eine tolle Taktik. Da war z.B. ein Flug nach Barcelona, das Erklimmen eines Aussichtsturms. Ich kann es wärmstens empfehlen. Es hat mich sehr viel weitergebracht. Trau’ es Dir zu!
6) Es hilft nichts – Du musst Dich Deinen Dämonen stellen. Konfrontation ist das Stichwort. Je öfter Du übst, Dich in die „Horrorsituationen“ begibst, desto leichter wird es. Dein Gehirn merkt immer mehr, dass eigentlich nichts Schlimmes passiert. Die fehlgeleitete Verknüpfung in Deinem Gehirn, die Dir sagt, dass z.B. eine Spinne gefährlich ist, wird aufgelöst und die Sache wirkt auf Dich nicht mehr gefährlich.
Der effektivste Weg seine fehlgeleiteten Ängste in den Griff zu bekommen, ist und bleibt die Konfrontation! Darauf bezieht sich auch mein heutiges Schlusszitat. Ich liebe es!
„Manchmal geht die Angst nicht weg. Dann musst Du es eben ängstlich tun.“
Bleibt mutig!
Eure Viola
#mutigbleiben