Wir alle haben uns in den letzten Jahren zunehmend vernetzt. Wir präsentieren uns in sozialen Medien, werden „versorgt“ mit auf uns zugeschnittener Werbung und formen daraus unser Leben, unsere Realität, das was wir sind und das, was wir unbedingt zu sein haben.
Das Komische daran ist, dass es sich bei allem, was wir präsentieren und präsentiert bekommen, gar nicht um die Realität handelt. Wenn wir das im Internet nicht sind, ja, wer sind wir denn dann? Und wer sind die anderen? Wieso wollen wir uns verstecken? Warum wollen wir lieber andere beeindrucken als uns selbst? Wieso verlieren wir uns? Und wie können wir uns wiederfinden?
Nein, die neue Michael Kors Tasche ist nicht wichtig, die hat mit dem, was wichtig ist genauso wenig zu tun, wie die glatt gebügelten Körper und Selfies und dem Eindruck, dass im Netz alle immer happy sind, viel glücklicher als wir selbst. Wir verfallen einem gefährlichen Optimierungsdrang und gelangen zu einem Bild von uns selbst, dem wir nie gerecht werden können. Wir sollen zu einem perfekten Wesen werden, das wir nicht sind und niemals sein können. Aua, die Erkenntnis tut erstmal weh! Mich persönlich haben die Selbstansprüche, der Drang danach, jedem gefallen zu wollen, krankgemacht.
Als Sängerin, die gar nicht drum herum kommt sich der Öffentlichkeit zu stellen, bin ich zunächst genau diesen Weg gegangen: Alles muss perfekt sein; um zu gefallen und um bloß keine Angriffsfläche zu bieten. Jedes Haar muss sitzen, die Falten darf man nicht sehen; noch ein Filter drauf und noch ein Filter. Und wieso bin ich eigentlich so fett!? Übergewicht darf keiner bemerken, wie peinlich und schwach das ist!
Wenn der Schein dann doch mal nicht gewahrt werden konnte, habe ich mich komplett zerfleischt und fertiggemacht. Ich war mir nicht genug, niemals und zu keinem Zeitpunkt. Ich habe mich ausschließlich darum gekümmert, wie ich rüberkomme und keine Sekunde daran gedacht, wer ich wirklich bin!
Vor zwei Jahren war es soweit – mein erstes Album „It’s Not Logic“ wurde veröffentlicht. Es war eine aufregende Zeit, aber heute weiß ich, es war gleichzeitig die Hochphase der Selbstgeißelung, der endgültige Verlust meines Ichs. Mir fiel das im Prozess des Musik Schreibens, Produzierens, Bewerbens, sozusagen während der gesamten „Produktentwicklung“, gar nicht auf. Ich hörte die ganze Zeit brav auf meine inneren Antreiber und Kritiker und auf alles, was von außen kam, gleich noch mit dazu. Ich habe gar nicht weiter hinterfragt, ob ich mich wohl fühle, mit allem, was da passiert. War doch egal – Hauptsache „funktionieren“, Hauptsache für alle anderen perfekt sein.
Als 2015 die CD auf dem Markt, der ganze Trubel zwischenzeitlich beendet war, wurde es das erste Mal seit Jahren ruhig um mich. Diese Stille war ganz ungewohnt, irgendwie erdrückend. Plötzlich hatte ich Raum zum Nachdenken, zum Reflektieren und Revue passieren lassen. Was ich sah, hat mir nicht gefallen. Es bot sich ein Anblick eines Menschen, der nicht mehr glücklich war – weil komplett verloren.
Ein Konzert beim Saarspektakel in Saarbrücken, bei Radio Salü. Hell no! – Das war nicht mehr ich! (Foto: Jan Patzschke)
Nach diesem Tiefpunkt, beschloss ich mir erstmal viel Zeit für mich zu nehmen. Ich ging sozusagen auf die Reise zum Glück, begegnete den komischsten Dämonen und kann heute von mir sagen, dass ich endlich wieder gesund bin. Ich bin wieder ich. Ich freue mich unheimlich, Euch in Zukunft mehr von meiner Reise und meinen Erkenntnissen zu erzählen – dieser Blog ist eine echte Herzensangelegenheit!
Ich möchte an dieser Stelle noch betonen, dass natürlich nicht alles ganz grauenvoll war. Meine Band und ich, das ganze Team drum herum, hatten auch unzählige tolle Momente erlebt. Wir hatten Preise gewonnen, liefen im Radio, hatten ein Crowdfunding erfolgreich abgeschlossen und spielten tolle Konzerte. Wir hatten allen Grund stolz zu sein und dankbar über all’ die Unterstützung, die uns widerfahren war und für die liebenswerten Menschen, die wir kennenlernen durften. Und dennoch, in mir drin sah es einfach anders aus.
Ich hatte mich in dem ganzen Entstehungsprozess des Albums, das eigentlich mich und meine Geschichte widerspiegeln sollte, zu keiner Sekunde um mich gekümmert. Es ging um das „Produkt“. Ich war schlussendlich bei über 100kg Körpergewicht, weit über einer Packung Zigaretten am Tag, der Pizzabote und ich waren per Du. Ich hatte Ängste, Phobien, Panikattacken, ich konnte am Ende vor Angst kaum noch Auto fahren, nicht mehr fliegen oder alleine Bahn fahren, immer wieder hatte ich Angstzustände. Es ist ein bisschen so, als würde man nach und nach den Boden unter seinen Füßen verlieren. Darüber werde ich Euch noch ausführlich berichten. Ich weiß, dass ich mit solchen „Phänomenen“ nicht alleine bin – und was erstmal ganz wichtig ist, Ihr seid es auch nicht!
Musik machen ist großartig, daran besteht kein Zweifel und ich werde es immer abgöttisch lieben! Man muss aber ganz ehrlich sagen, dass sich bei einem „Projekt Debütalbum“ um Musik das Wenigste dreht; zumindest war das in meinem Fall so. Wenn man weitgehend alles alleine und nicht mit einer großen Plattenfirma im Rücken durchzieht, muss sich ein Künstler mit 1000 Fragen befassen, die rein gar nichts mit Musik zu tun haben. Wie sollen wir das alles bezahlen, die Promo, die CD-Produktion, das CD-Cover, die Fotos, die Homepage, etc.? Wie bringen wir es am besten rüber? Wie erreichen wir die Menschen? Was kommt an? Was sollte ich anziehen, sagen? Welche Frisur kommt am Coolsten? Welcher Musiksound geht gerade gut am Markt? Wie bekomme ich die roten Zahlen auf dem Konto weg? Und überhaupt – Viola, so und so musst Du Dich „verkaufen“, damit es erfolgreich wird. Und das bitte zackig, denn Du bist keine 20 mehr!
Für mich war es meine erste Erfahrung in der Musikbranche, zumindest auf diesem Level. Für mich waren das alles „Götter“, die Produzenten, Manager, die Veranstalter, Fotografen, etc. – und die haben sicher recht. Natürlich haben das alle – zumindest die Meisten – wirklich gut gemeint, sie wollten mir ja helfen. Der Fehler lag bei mir.
„Wenn Du nicht weißt, wer Du bist, landest Du schnell mal da, wo Du nie hinwolltest“. Manchmal glaubt man, die anderen wüssten besser, wer man selber ist. Kennt Ihr das vielleicht auch?
Ende 2016 checkte ich dann endlich in einer psychosomatischen Klinik ein. Von da an krempelte ich meinen Körper und meine Seele komplett um. In den fünf Wochen meines Aufenthalts verlor ich die ersten 8kg. Ich lernte nach und nach zu kochen, wofür ich mir vorher nie Zeit genommen hatte. Als Angstpatientin lernte ich mir Sport wieder zuzutrauen, die Dinge in meinem eigenen Tempo anzugehen und – was das Wichtigste ist – mich wieder gern zu haben. Nach dem Klinikaufenthalt begann ich eine Schematherapie und kämpfte mich nach und nach ins Leben zurück.
Ich stellte mir plötzlich die richtigen Fragen: Was ist mir wirklich wichtig? Was habe ich z.B. als Kind immer gerne gemacht? Zu der Zeit, wo einem die große weite Welt noch völlig „schnuppe“ war und das Internet sowieso? Was möchte ich jetzt, als Erwachsene, zu dieser Welt beitragen? Was kann ich wirklich Wertvolles tun? Was macht mich glücklich und wie kann ich andere glücklich machen? – Stellt Ihr Euch auch solche Fragen? Oder sind es vielleicht doch ganz andere?
Berühmtheit war mir nie wichtig, das ist völlig nebensächlich. „Cool“ rüberkommen oder gar perfekt, ist viel zu anstrengend und nein, das ist es nicht. Mir ist wichtig, dass Ihr mich kennt, so wie ich bin, dass ich meine Geschichten erzählen kann, meine Mitmenschen zum Nachdenken und vielleicht sogar Umlenken bewege, Euch Kraft gebe, bei allem, mit dem ihr gerade zu kämpfen habt. Ich habe schon als Kind gerne Gedichte verfasst und Geschichten, habe stundenlange „Beratungsgespräche“ mit meinen Freunden geführt. Diese, meine Art und Leidenschaft, möchte ich in Form von Musik an Euch weitergeben, aber eben auch hier auf meinem Blog.
Wisst Ihr, niemand hat mich bisher richtig kennengelernt und ich konnte mir auch nie die Zeit nehmen Euch richtig kennenzulernen. Alles musste so verdammt schnell gehen. In Zukunft möchte ich das anders machen. Neue Songs sind nun geschrieben, es geht bald wieder los, diesmal aber behutsam, Schritt für Schritt, nicht als Produkt, sondern als Viola.
Ihr könnt Euch nicht vorstellen, wie sehr ich mich darauf freue!
Zu guter Letzt, gibt es eine Message, die ich Dir ganz persönlich mit auf den Weg geben möchte:
Lass` Dir bitte niemals vorschreiben, wer Du zu sein hast.
Nimm’ Dir die Zeit, es alleine herauszufinden.
Ich hoffe, ich kann jedem einzelnen von Euch mit meinen zukünftigen Artikeln etwas Hilfestellung oder zumindest gute Gefühle geben, denn, wie ich herausgefunden habe, ist das meine Passion, neben der Musik versteht sich. Das alles bin offensichtlich ich.
Hast Du denn ähnliche Momente, in denen Du an Dir zweifelst?
Hast Du auch manchmal das Gefühl, dass der, der Du bist, einfach nicht genug ist?
Bist Du einfach nur Du oder definierst Du Dich darüber, wie andere Dich haben wollen?
Wer bist Du – und wenn ja, wie viele? 😉
Ich bin gespannt auf Eure Geschichten und darauf, dass sich hier in Zukunft nach und nach Menschen finden, die sich gegenseitig inspirieren und unterstützen.
Die Welt ist schon grausam genug, wir müssen anfangen Hand in Hand zu gehen.
Eure Viola
Zeig’ her DEIN Gesicht – und alles, was dahintersteckt!
Sehr schön geschrieben und toll Deine Situation dargelegt. Bin eigentlich schon immer auf der Suche nach meinem ich. Das ganze ist aber erst extrem schlimm nach dem Ende meiner letzten Beziehung, die fast neun Jahre bestand hatte, ausgeartet. Ich bin in ein tiefes Loch gefallen und hab mich quasi angefangen selbst zu zerstören. Ich habe auf einmal Depressionen, Ängste und Panikattacken entwickelt, die Deinen sehr ähnlich sind. Nur hab ich nie wirklich den Schritt geschafft, mir Hilfe zu suchen oder solche zuzulassen. Ich hab mich selbst nach und nach wieder zu einem halbwegs normalen Leben zurück gekämpft. Doch leider noch immer davon entfernt zu wissen, wer ich eigentlich wirklich bin.
Ich find es toll, dass Du Viola, dieses Thema zu deinem machst und hoffe, dass Du vielen damit ein Stück weit helfen kannst. Mich hat es sofort angesprochen und mir einen Denkanstoss gegeben, vielleicht mein Leben mit anderen Augen zu betrachten. Danke dafür!!!
Liebe Grüße Flo S.
Lieber Flo,
dass Du Dich alleine durchgekämpft hast, muss unglaublich anstrengend gewesen sein, ist es sicher immernoch. Es zeigt, dass Du sehr viel aushälst und ein starker Mensch bist.
Du musst das aber nicht aushalten! Du musst nicht ein halbwegs normales Leben führen; Dir steht ein GANZ normales Leben zu. Es gibt ganz, ganz viel Hilfe. Die Entscheidung zu treffen, um Hilfe zu bitten, fällt schwer, das ging mir auch so; andererseits kannst Du Dich fragen: Mit Rückenschmerzen gehe ich zum Arzt, warum nicht auch bei Seelenschmerzen!? Du kannst alleine, musst Du aber nicht! Zum Schluß ein kleiner Tipp: Beim Sozialpsychiatrischen Dienst (in Deinem Fall wahrscheinlich Hochtaunuskreis) kannst Du Dich kostenlos und unverbindlich beraten lassen, bekommst ganz viele Infos und Kontakte zu Therapeuten, verschiendenen Therapieformen, etc.
Egal, wie Du weitermachst, ich drücke Dir fest die Daumen, dass es Dir bald wieder richtig gut geht!
Wenn Du magst, halt‘ mich auf dem Laufenden 🙂
Liebe Grüße,
Viola